Ermanno Wolf Ferrari

1876 - 1948

Ein Mann zwischen allen Stühlen. Auch wenn man mit Dylan Thomas der Ansicht sein kann, daß das für den wahren Künstler die einzig würdige Position sei: Ermanno Wolf Ferrari hat sich dort immer wieder - und je älter er wurde, desto mehr - höchst unbequem gefühlt. Obwohl er als Komponist daraus tatsächlich Vorteile zu ziehen verstand.

Zunächst einmal war er - auch in seinem Denken und Fühlen - halb Deutscher, halb Italiener; Venezianer, um genau zu sein. Zeitzeugen berichten, daß der Komponist, wenn er erzählte, gern auf Deutsch begann, dann bruchlos ins Italienische wechselte, um zuletzt meist im venezianischen Dialekt zu enden.

Der Vater Wolf Ferraris aber war Deutscher, Hermann Friedrich Wolf, Maler und dank der durch den Grafen Schack beauftragten Kopien Alter Meister in Bayern zu einiger Berühmtheit gelangt. Die Mutter stammte aus Venedig. Ihren Familiennamen nutzte der Komponist später für seinen Doppelnamen, den er übrigens nie mit Bindestrich schrieb.

Also: Ermanno Wolf Ferrari wollte zunächst in die väterlichen Fußstapfen treten; schon der Großvater August war bildender Künstler gewesen. Und der Vater förderte die zeichnerischen Ambitionen, war jedoch nicht nur für die bildnerische Ader seines Sohne bestimmend. Ermanno Wolf Ferrari bezeichnete seinen Vater später als prägend in allen künstlerischen Belangen:

Er ist eigentlich mein Musiklehrer gewesen, ohne selbst Musiker zu sein.
Im Land zwischen den musikalischen Welten entzündete sich auch die Begeisterungsfähigkeit: Mit zwölf liebte Wolf Ferrari Rossinis Barbier von Sevilla, mit dreizehn überwältigten ihn Wagners Tristan und Isolde und der Parsifal anläßlich eines Besuchs bei den Bayreuther Festspielen.

Als Studenten wechselte er denn auch rasch von der Malkunst an die Akademie der Tonkunst in München. Der geschickte Handwerker Joseph Rheinberger wurde dort sein Lehrer.

Doch zog es den unsteten Geist nach Venedig, wo er ab 1895 lebte, als Komponist aber so wenig Fuß fassen konnte wie in Mailand, wo er als Chorleiter arbeitete. Arrigo Boito und der Verleger Giulio Ricordi betrachteten die Arbeiten des jungen Mannes zwar wohlwollend, dachten aber nicht daran, ihn zu fördern oder gar seine Werke zu drucken. Die erste Opernpartitur, Irene, blieb in der Schublade. Auch weil der zwanzigjährige Komponist durch seinen neuen Freund, den Grafen Lurani eine neue Leidenschaft entdeckt: Gemeinsam musizieren die beiden Bach - und angesichts der kontrapunktischen Abenteuer verlieren die eigenen Kompositionsversuche für kurze Zeit ihre Attraktion.

Erfolgreicher Misserfolg

Immerhin gelang es Wolf Ferrari, seinen zweiten Opern-Versuch - mutig nach dem schon von Rossini und Massenet erfolgreich vertonten Aschenbrödel-Sujet - zur Uraufführung zu bringen: Die Premiere der Cenerentola im Februar 1900, wurde jedoch ein eklatanter Mißerfolg. Der Komponist wechselte zurück nach München. 1902 kann er immerhin mit der deutschsprachigen Erstaufführung des Aschenbrödel in Bremen einen Erfolg verbuchen. Einer der Rezensenten würdigt anerkennend das musikdramatische Talent und betont interessanterweise auch dessen deutsch-italienische Janusköpfigkeit:
Hier seht endlich einmal ein junger Tondichter ganz auf eigenen Füßen frei von jeglichem wie immer geartetem Epigonentum, ein werdener Meister, in dem sich deutsche Tiefe und italienische Sinnenfreude paaren. Hier ist ein dramatisches Genie.

Bayrische Italianità

In München erwies sich Position zwischen den Stühlen dann tatsächlich als günstig. Wolf Ferraris Kunst, die italienische Buffo-Oper nach Goldonis Vorbild neu zu beleben zum Erfolg; nahezu alle folgenden Werke kamen in München - und selbstverständlich in deutscher Sprache heraus.
  • Le donne curiose (UA als »Die neugierigen Frauen« - 1903)
  • I quattro rusteghi (»Die vier Grobiane« - 1906)
  • und
  • Il segreto di Susanna (»Susannes Geheimnis« -1909)
  • erwiesen sich sofort als repertoiretauglich und machten ihren Weg durch die deutsche Bühnenlandschaft. Selbst ein notorisch mit seinen Kollegen unzufriedener Komponist wie Hans Pfitzner, der die »Neugierigen Frauen« als Kapellmeister in Berlin einstudiert, nennt das Werk unumwunden
    die beste komische Oper seit Lortzing.
    Um eine seiner Opern erstmals in italienischer Sprache hören zu können, muß Wolf Ferrari allerdings nach Amerika übersetzen...

    In New York kam es übrigens 1940 zu einer Einstudierung der Donne curiose durch Arturo Toscanini, eine Produktion, die Wolf Ferrari dann mit den Worten beschrieb:
    Als ich das erste Mal im leben eine wirklich gute Aufführung einer meiner Opern hörte (es waren »Die neugierigen Frauen« unter Toscanini in New York), staunte ich über Folgendes: Wie ist doch die Vollendung das Mindeste, was man in der Kunst verlangen muß!

    Konservatoriums-Direktor

    Trotz allen Erfolgen in Deutschland und in Übersee weiß man auch in Italien, wer dieser junge Mann ist. Venedig beruft den 26-Jährigen zum Direktor des »Liceo Musicale«. Und das »auf Lebenszeit«. Wolf Ferrari versteht diese Berufung als Auftrag. Sein Programm formulierte er später wie ein Protokoll seiner eigenen künstlerischen Überzeugungen:
    Es baut sich alles auf, so wie es die Arbeit der Jahrhunderte mit sich gebracht hat. Konservativismus und Fortschritt sind in diesem Falle keine Gegensätze. Man muß das Gute immer zu erhalten trachten und das Schlechte ändern! ... Nur in der Komposition war man damals schon so weit, daß jede Liebe, die ja auch erhalten wll, als Pedanterie aufgefaßt wurde. Siehe Beckmesser, der sich nach der Blamage auf der Festwiese fürchtet, nicht fortschrittlich genug zu sein! Ich ging gegen diesen neuen Beckmesser, der nach Wagners Tod Wagnerianer geworden war, ohne etwas von ihm zu verstehen, rücksichtlos vor und täte es heute noch mehr, weil das Übel sich seitdem verschlimmert hat. ... So weit ist die Unnatur gediehen, daß man sich über eine Musik die unter Mitwirkung des Gefühls geboren wurde (wie sollte sie sonst entstehen?), unverblümt äußert: sie hatte an das Gefühl ,konzediert'!!
    Mit den Studenten veranstaltet Wolf Ferrari Aufführungen kleiner Intermezzi aus der Barockzeit, darunter Pergolesis Serva padrona, (die heimliche Patin seines Erfolgs Susannes Geheimnis) oder Galuppis Il folosofo di campagna.

    Eine Klasse am Mozarteum

    Doch 1909 hält es Wolf Ferrari nicht mehr in Venedig. Er geht wieder nach München, während des Ersten Weltkriegs aber - wiederum zerrissen zwischen seinen nun »verfeindeten« Nationalitäten - in der Schweiz. Die unstete Lebensweise führte Wolf Ferrari auch nach dem Krieg weiter, um während des Zweiten Weltkriegs wieder in der Schweiz Zuflucht zu suchen.

    Eine Zeitlang lebte er auch in Altaussee und unterrichtete (ab 1939) Komposition am von Clemens Krauss neu organisierten Salzburger Mozarteum.
    Bezeichnend einer seiner Aphorismen:
    Die Befolgung der Regeln garantiert keine Schönheit, das Nichtbefolgen derselben aber ebensowenig.

    Seinen Lebensabend aber verbrachte Wolf Ferrari in Venedig, jener Stadt, in der die meisten seiner Opern spielen und der er damit auch ein musikalisches Denkmal gesetzt hatte.

    Versuchung »große Oper«

    Immer waren es die Komödien, die ihm Erfolg brachten. Ein Ausflug in die Gefilde des Verismo mit I gioielli della Madonna (»Der Schmuck der Madonna«) konnte 1911 lediglich einen Achtungserfolg erringen - wenn sich auch die Serenade als echter Ohrwurm entpuppen sollte und auch in der Instrumentalfassung, wie sie in der Oper als Intermezzo erklingt viel gespielt wurde.

    Ein zweiter Versuch in der tragischen Richtung Sly nach Shakespeares Entwurf zu einem Vorspiel für Der Widerspenstigen Zähmung, war 1927 dank des Uraufführungs-Titelhelden Aureliano Pertile in Mailand zumindest ein kurzzeitiger Erfolg, erlangte Jahrzehnte später durch den Einsatz von José Carreras nochmals einige Aufmerksamkeit (für den Tenor bedeutete die nicht allzu hoch liegende Titelpartie eine Möglichkeit, nach langer Erkrankung wieder die Opernbühne zu betreten).

    Dazwischen hing Wolf Ferraris Herz an seiner märchenhaft-verinnerlichten, 1925 vollendeten Oper Das Himmelskleid, von der er allerdings selbst wußte, daß sie für eine breite Öffentlichkeit zu wenig theaterwirksam war.

    Der Meister der Komödie

    Die Buffo-Serie Wolf Ferraris ging in loser Folge weiter:
  • L’amore medico (»Der Liebhaber als Arzt« nach Molière - 1913)
  • Gli amanti sposi (»Das Liebesband der Marchesa« - 1925)
  • La vedova scaltra (»Die schlaue Witwe« - 1931)
  • Il campiello (»Das Plätzchen« - 1936) La dama boba (»Das dumme Mädchen« - 1939)
    Mitten im Zweiten Weltkrieg erlebte Wolf Ferraris letztes Bühnenwerk, Der Kuckuck in Theben, in Hannover seine Uraufführung. Danach zog sich der Komponist wieder auf Musik für den Konzertsaal zurück und pflegte wie in den Opern einen geradezu idyllisch-verhaltenen, völlig romantischen Stil jenseits aller avantgardistischen Klangwelten.

    Wolf Ferraris Instrumentalmusik

    Er nahm damit eine seit der exquisiten Sinfonia da camera op. 8 und der Dante-Kantate La vita nuova op. 9 (beide Werke waren 1901 entstanden) vernachlässigte Gepflogenheit wieder auf. Mit dem
  • Idillio-Concertino
  • op. 15 (1933), dem
  • Suite-concertino
  • F-Dur op. 16 (1933), der
  • Suite veneziano
  • op. 18 (1936)
    und dem
  • Violinkonzert op. 26 (1946)
  • entstanden hörenswerte größer dimensionierte Kompositionen.

    Die späten Kammermusik-Werke schließen in ihrem frischen Tonfall an die Fühwerke an, mit denen sich der junge Wolf Ferrari die ersten Sporen verdient hatte:
  • Streichquintett (1894)
  • Violinsonate g-Moll op. 1 (1895)
  • Klaviertrio D-Dur op. 5 (vor 1898)
  • Klavierquintett Des-Dur op. 6 (1900)
  • Klaviertrio Fis-Dur op. 7 (1900)
  • Im Spätwerk finden sich wunderbare, inspirierte Stücke, die den unter ähnlichen Bedingungen entstandenen, weltabgewandten Werken eines Richard Strauss aus den frühen Vierzigerjahren in nichts nachstehen.
  • Streichquartett op. 23 (1940)
  • Streichquintett op. 24 (1942)
  • Sonate F-Dur für 2 Violinen und Klavier op. 25 (1943)
  • Violinsonate E-Dur op. 27 (1943)
  • Cellosonate G-Dur op. 30 (1945)
  • Streichtrio a-Moll op. 32 (1945)

  • Ermanno Wolf Ferrari starb am 23. Jänner 1948, nicht einmal ein Jahre nach seiner Übersiedlung aus Zürich in Venedig über der Arbeit an seinem letzten symphonischen Werk, Die Kirchen von Venedig, das im Particell vollendet war, aber noch nicht fertig instrumentiert.

    Federico Wolf-Ferrari, der Sohn des Komponisten aus erster Ehe (mit CLara Kilian) war nach dem Zweiten Weltkrieg als Regisseur tätig und inszenierte viele Werke seines Vaters im deutschen Sprachraum. nach einer Premiere der Neugierigen Frauen in Erfurt, offenbar ganz aus dem Geist der Musik entwickelt, sprach die Kritik von einem
    graziös-turbulenten Spiel, dessen musikalisch-gestische Virtuosität bestechend ist. Da wächst alles locker und frisch aus der musikalischen Diktion heraus, ein bißchen ironisch, ein bißchen bufonesk, vor allem aber springlebendig. ... Der Beifall wollte kein Ende nehmen.


    Aufnahmen

    Das Himmelskleid
    Wolf Ferraris ehrgeizigste Oper war dem Opernhaus Hagen einen Versuch wert, der mitgeschnitten wurde.
    Susannes Geheimnis
    Die zauberhafte, kurze Komödie fand mit Bernd Weikl und Maria Chiara wunderbare Interpreten.



    Die neugierigen Frauen
    waren Wolf Ferraris meistgespielte Oper.



    Die vier Grobiane
    wurden zum Gegenstück der »neugierigen Frauen« _ und beinahe ebenso erfolgreich.



    Il campiello
    der hübsche Nachzügler in Wolf Ferraris Liste von komischen Opern.



    La vedova scaltra




    Kammer-Symphonie. Das vielleicht interessanteste der Frühwerke Wolf Ferraris in einer exzellenten Wiedergabe.




    Das Streichquartett
    eines der feinsinnigen späten Kammermusikwerke.



    ↑DA CAPO